Veranstaltung: | 02. Ordentlicher Landesdelegiertenrat 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | 2. Aussprache und Resolution zur Corona-Situation |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenrat |
Beschlossen am: | 27.11.2020 |
Eingereicht: | 11.12.2020, 13:13 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Resolution: Mit Zuversicht durch die Corona-Pandemie: wissensbasiert und demokratisch
Beschlusstext
Die Situation ist ernst. Wir befinden uns mitten in der zweiten Welle der
Corona-Pandemie, die – wie von Wissenschaftler*innen und Mediziner*innen
vorausgesagt – die Wintermonate bestimmt.
Wir wissen, dass es angesichts der Fortschritte in der Impfstoff-Entwicklung
darum geht, gemeinsam und solidarisch durch die zweite Welle und den Winter zu
kommen. Wir wollen so viele Neuansteckungen wie möglich verhindern, damit im
Frühjahr und Sommer unser Leben nicht mehr durch massive Kontaktbeschränkungen
geprägt sein wird. Die Pandemie wird auch dann nicht zu Ende sein, aber wir
werden besser als aktuell mit ihren Folgen umgehen können, insbesondere auch
dann, wenn Impfungen für Risikogruppen sowie für medizinisches Personal zur
Verfügung stehen. Und wenn wieder mehr Aktivitäten im Freien statt in
Innenräumen stattfinden können.
Die Pandemie stellt unsere Art zu leben in Frage. Für uns Bündnisgrüne ist die
„alte Normalität“ nicht erstrebenswert, da in dieser Probleme entstanden, die
durch die Pandemie verstärkt wurden. Wir wollen jetzt langfristige Weichen für
eine gerechtere Gesellschaft stellen. Eine Gesellschaft, in deren
Gesundheitssystem das Wohlbefinden der Menschen und nicht Profit im Vordergrund
steht und der das Bildungssystem Ungleichheiten beseitigt statt sie zu
verstärken.
Wir wissen: Nur Veränderung schafft Halt. Unsere Gesellschaft kann sich ändern.
Wir gehen deshalb mit Mut und Zuversicht in die nächsten Monate. Wir wissen,
dass keine einfache Zeit vor uns liegt. Als Gesellschaft müssen wir
zusammenhalten, dürfen wir niemanden zurücklassen. Mit Solidarität,
Rücksichtnahme aufeinander und einer auf Vernunft und wissenschaftlicher
Erkenntnis basierten Politik wird es uns gelingen, in Deutschland, Europa und
weltweit, diese Herausforderung zu meistern. Darauf bauen wir.
Die Pandemie bedroht die Demokratie und den Rechtsstaat
Seit Beginn der Corona-Pandemie wird auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes
des Bundes und mittels Landesverordnungen drastisch in die Grundrechte aller
Bürger*innen eingegriffen. Die Pandemie ist deshalb auch eine demokratische
Zumutung. Über die Wege ihr zu begegnen, muss gestritten werden.
Die in der vergangenen Woche verabschiedete Novelle des Infektionsschutzgesetzes
begrüßen wir. Mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz wird die Bekämpfung der
Pandemie demokratisch besser legitimiert und bekommt eine solide gesetzliche
Grundlage. Wir können die Pandemie nur wirkungsvoll bekämpfen, wenn
Infektionsschutzmaßnahmen einer gerichtlichen Überprüfung standhalten. Die
Chancen dafür verbessert das vorliegende Gesetz erheblich.
Mit dem Gesetz gibt es jetzt Leitplanken, unter welchen Bedingungen in
Grundrechte zur Sicherung der Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitswesens
eingegriffen werden darf und wie lange. Das Parlament beschreibt damit den
Rahmen, innerhalb dessen Bundesregierung und Landesregierungen agieren können.
Damit sind unsere Grundrechte besser geschützt. Zugleich ist mit diesem Gesetz
weiterhin zügiges Reagieren auf das Infektionsgeschehen möglich.
Eine übergroße Mehrheit der Menschen im Land stützt die aktuellen Maßnahmen.
Aber je länger die Pandemie andauert, desto mehr Raum braucht es für Information
und Beteiligung der Parlamente. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Maßnahmen
und das Selbstverständnis unserer Verfassung erfordern den öffentlichen Diskurs
und die parlamentarische Verankerung derart gravierender Maßnahmen. Deshalb
streiten wir in Sachsen-Anhalt für ein Landes-Infektionsschutzgesetz, das die
Beteiligung des Landtags stärkt.
Grundrechte dürfen nicht über Monate hinweg allein von der Exekutive
eingeschränkt werden. Für uns Bündnisgrüne gilt: Transparenz schafft Sicherheit
und Vertrauen. Wir wollen Grundlagen für die jeweiligen politischen
Entscheidungen vermitteln sowie die Verfahren und Kriterien offenlegen, die den
dabei unumgänglichen Abwägungen zugrunde liegen. Wir erwarten daher von der
Landesregierung, dass sie die ihren Entscheidungen zugrunde liegenden Daten
jederzeit transparent macht. Dazu sind die in den unterschiedlichen Teilen der
öffentlichen Verwaltung vorhandenen Daten als offene, maschinenlesbare Daten für
alle Bürger*innen und das Parlament datenschutzkonform bereitzustellen.
Der Landtag von Sachsen-Anhalt soll darüber hinaus für die Zeit der pandemischen
Lage in jeder Plenarperiode neben der regulären Befragung der Landesregierung
einen Tagesordnungspunkt „Informationen der Landesregierung zur Pandemischen
Lage“ vorsehen.
Zudem ist die Diskussion in Landesregierung und Parlament durch einen
Pandemiebeirat zu begleiten. Hier sollen Vertreter*innen unterschiedlicher
Fachrichtungen aus der Wissenschaft, den kommunalen Spitzenverbänden und
Vertreter*innen wie der Kinder- und Jugendring oder der Landesseniorenrat
zusammenkommen und Hinweise sowie Empfehlungen an die Landesregierung und den
Landtag erarbeiten.
Die zunehmend von Rechtsextremen unterwanderten Demonstrationen und Kundgebungen
so genannter “Querdenker”, d.h. Corona-Leugner*innen, erweisen sich nicht nur
als unverantwortliche Corona-Parties, weil Abstände nicht eingehalten und
elementare Hygieneregeln nicht beachtet werden. Sie sind geprägt von
Verschwörungsmythen und Antisemitismus.
Wir streiten als Bündnisgrüne dafür, dass auch in der Pandemie das Grundrecht
auf Versammlungsfreiheit umfänglich genutzt werden kann. Angriffe auf
Journalist*innen und Polizeibeamt*innen, wie sie wiederholt und massiv von den
Corona-Leugner-Demonstrationen ausgegangen sind, verurteilen wir in aller
Schärfe. Wir erwarten, dass Polizei- und Versammlungsbehörden kluge Auflagen zum
Schutz aller machen (insbesondere Maskenpflicht, Abstandsregeln und ggf. eine
Maximalzahl für Teilnehmer*innen) und mit Konsequenz gegen jene vorgehen, die
Auflagen zum Schutz der Gesundheit missachten.
Corona-Leugner*innen muss durch uns alle widersprochen werden. Als Bündnisgrüne
versammeln wir uns hinter den Erkenntnissen der Wissenschaft und streiten für
einen vernunftgeleiteten Weg durch die Pandemie.
Wo sich Corona-Leugner*innen weiter radikalisieren, braucht es klare Antworten
auch der Sicherheitsbehörden. Wo der Rechtsstaat durch diese angegriffen und die
freiheitlich-demokratische Grundordnung unterminiert wird, darf durch die
Behörden nicht weggeschaut, sondern muss eingegriffen werden.
Für ein starkes Gesundheitssystem
Wir danken allen Ärzt*innen, Pflegekräften und Physiotherapeut*innen, die seit
Jahren unter den strukturellen Schwierigkeiten fehlgeleiteter
Bundesgesundheitspolitik leiden und unter den aktuell pandemiebedingt
komplizierten Verhältnissen einen bewundernswerten Job machen.
Hier setzt auch unsere Kritik an. Seit Jahren ist von Bundesebene verschlafen
worden, Arbeitsbedingungen und Bezahlung im Gesundheitssystem im Allgemeinen und
in der Pflege im Besonderen wirksam zu verbessern. Die Pandemie hat nun alle
Schwachstellen offengelegt. Es sind jetzt einige Verbesserungen auf den Weg
gebracht worden. So ist auch den Gewerkschaften zu danken. Der von ihnen
verhandelte neue Tarifvertrag gibt eine positive Richtung zu Wertschätzung von
Pflege und Aufwertung, insbesondere der Intensivpflege vor.
Kurzfristig muss die Fachkräftebasis vergrößert werden, indem mittels
“Willkommens-Programm” medizinische Fachkräfte, die in andere Bereiche
abgewandert sind, zurückgewonnen werden. Die Delegation und Substitution von
ärztlichen Leistungen auf Pflegekräfte und Gesundheitsberufe muss vorangetrieben
werden, ebenso wie die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen.
Auf Landesebene werden wir die Zukunft der Krankenhäuser und deren Veränderung
hin zu dauerhaft funktionierenden Orten der gesundheitlichen Versorgung durch
steigende Investitionsmittel stärken. Dazu ist es dringend nötig, über einen
Runden Tisch auf Landesebene die strategische Planung der Krankenhauslandschaft
voranzutreiben. Wir wollen Rahmenbedingungen schaffen, damit die zuständigen
Akteur*innen vor Ort moderne und innovative Formen der Versorgung entwickeln
können Wo nötig wollen wir Bündnisgrüne die derzeit 47 Krankenhausstandorte so
umbauen, dass sie dauerhaft als Orte der medizinischen Versorgung erhalten
bleiben, unter der Maßgabe Sicherung der Daseinsvorsorge. Das heißt für uns:
Notambulanzen, Chirurgie, Kardiologie, Pädiatrie, Gynäkologie und
Entbindungsstationen. Alles Weitere muss im Dialog aller für die
Gesundheitsversorgung Verantwortung Tragenden nach dem Prinzip von Konzentration
und Spezialisierung entwickelt werden.
Digitalisierung kann auch das Gesundheitswesen krisenfester machen. Um
Onlinesprechstunden oder digitale Fallkonferenzen verstärkter nutzen zu können,
brauchen wir verstärkten Breitbandausbau und ein Landeszentrum für Telemedizin.
Wir müssen den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), als wesentliche Säule der
medizinischen Versorgung anerkennen und konkurrenzfähige Bezahlung der dort
Diensthabenden gewährleisten. Wir brauchen an den Universitäten 5 Prozent
reservierte Studienplätze für Studierende, die im Anschluss im ÖGD arbeiten
wollen, ähnlich der Landarztquote. Die Kommunen müssen bei der Aufwertung des
ÖGD unterstützt werden, mittels einer landesweiten Kampagne. In dieser sollte
gleichzeitig für die Einhaltung der AHA-L Regeln, also Abstand halten,
Hygieneregeln umsetzen, Alltagsmasken tragen und regelmäßig Lüften geworben
werden, sowie für Erhöhung der Impfbereitschaft. Das Land sollte durch
Bereitstellung von Räumen in öffentlichen Institutionen die Durchführung von
Impfaktionen unterstützen.
Mit klugen Teststrategien schützen
Besonders dort, wo Menschen in Gruppen zusammenkommen oder besonders gefährdete
Menschen sich aufhalten, ist der Schutz vor Infektion herausfordernd.
Schüler*innen und Lehrer*innen, Kitakinder und Erzieher*innen, Patient*innen,
Bewohner*innen und Pflegekräfte müssen sich darauf verlassen können, dass das
Land alles tut, um Schutz und Alltag miteinander in Einklang bringen zu können.
In Pflegeeinrichtungen schützt eine Testroutine vor Infektionen und Einsamkeit
durch Besuchsverbote, in Kliniken ermöglichst sie einen reibungslosen Ablauf und
ermöglicht Routinebehandlungen auch innerhalb der Pandemie und in Schulen und
Kitas kann sie die Verbreitung des Virus und damit die Schließung von
Einrichtungen und großflächige Quarantäne verhindern.
Mit den nun verfügbaren Schnelltests haben wir ein wirksames Instrument für
große Testreihen in der Hand.
Wir sehen das Land in der Pflicht, mit einer konzertierten Teststrategie
vulnerable Bereiche in den Blick zu nehmen, die praktische Umsetzung zu
konzipieren und die Testungen nicht nur durch die Bereitstellung der dafür
notwendigen Testkits, sondern auch durch die finanzielle Absicherung der nötigen
personellen Ressourcen abzusichern.
Schule und Kita
Kinder leiden seit Monaten unter den Einschränkungen der Pandemie auf vielen
Gebieten, insbesondere im Bereich der Bildung. Für eine gute Entwicklung
brauchen Kinder den Umgang mit anderen Kindern. Dies ist nicht durch dauerhaften
Fernunterricht zu ersetzen. Nach den einschränkenden Monaten zu Beginn dieses
Jahres hat sich deutlich gezeigt, welche z.T. verheerenden Folgen die allgemeine
Schließung von Schulen und Kitas erzeugt. Daher begrüßen wir das oberste Ziel,
trotz Pandemie Kitas und Schulen grundsätzlich offen zu halten.
Bildung muss dennoch sicher gemacht werden. Denn auch in Kindereinrichtungen und
Schulen kommt es derzeit verstärkt zu Infektionen.
Damit Kitas und Schulen grundsätzlich geöffnet bleiben können, erwarten wir vom
Bildungsministerium, Schule grundsätzlich neu zu denken. Dies soll in einem
mittel- und langfristig orientierten Strategieplan festgeschrieben werden.
Wir erwarten transparente Information zur Pandemielage an den Schulen im Land
(tgl. aktualisierte Übersicht zu Fällen, Quarantäneanordnungen etc. auf den
Seiten des Ministeriums), eine beschleunigte und konsequente Fortführung der
Digitalisierungsbemühungen für Schulen mit dem Ziel, dass für alle Schulen im
Land bis spätestens zum Jahreswechsel hybrider Unterricht – auch in geteilten
Klassen – möglich ist.
Wirtschaftshilfen
Es ist unsere Aufgabe als Politik dafür zu sorgen, dass die Lasten der Corona-
Katastrophe solidarisch getragen werden. Wir müssen dort helfen, wo Existenzen
bedroht sind, wo Ängste entstehen. Dafür muss schnell gehandelt werden. Jeder
Tag ist für die Betroffenen kostbar. Wir brauchen zur Sicherung der betroffenen
Unternehmen daher die zügige Ausreichung der Corona-Hilfen des Bundes im Land.
Die eingespielte Arbeitsstruktur der Investitionsbank Sachsen-Anhalt muss ggf.
durch Landesbedienstete verstärkt werden.
Die bisherigen Löcher der Überbrückungshilfen, die insbesondere beim
Unternehmerlohn für Soloselbständige bestanden und Existenzen gefährdeten,
werden mit der Novemberhilfe zunächst geschlossen. Wir müssen jedoch auf die
weitere Entwicklung vorbereitet sein und wollen einen Corona-Nothilfefonds im
Land schaffen, damit sich kurzfristig abzeichnende neue Lücken im Netz der
Hilfen des Bundes jeweils schnell geschlossen werden können.
Wir schaffen ein Landesprogramm Kultur, das gezielt betroffene Kulturbereiche
fördert und fordern ein Programm für den Neustart des Kultur- und
Veranstaltungsbetriebs nach Corona.
Besonders betroffen sind Studierende, deren Jobs wegfallen, die jedoch nicht
sozialleistungsberechtigt sind. Sie brauchen gezielte finanzielle Unterstützung
und – vor allem am Ende ihres Studiums – Perspektiven für den Einstieg in das
Arbeitsleben. Unterstützung muss auch jenen Auszubildenden zustehen, die in
Folge der Corona-Situation ihren Ausbildungsplatz verloren haben.
Die Stabilisierung der Wirtschaft erfolgt auch über die Kommunen. Die aktuelle
Steuerschätzung zeigt, wir brauchen auch für 2021 eine zumindest teilweise
Erstattung der ausgefallenen Gewerbesteuern vor Ort.
Die Politik muss der Wirtschaft Orientierung bieten. Bei allen Maßnahmen, die
über die Nothilfen zur Stabilisierung hinausgehen, werden wir darauf drängen,
dass das mobilisierte Geld dazu dient, unsere Art des Wirtschaftens klimaneutral
und ressourcenschonend umzubauen.